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Wissenschaft bringt den Dom zum Klingen

Mithilfe einer Auralisierung kann der Klang in Räumen simuliert und verbessert werden. Erprobt wird die Methode unter anderem in der Nikolauskapelle des Aachener Doms.

"Ruhe bitte – Aufnahme läuft!"
Nach ein paar Sekunden Stille erfüllt Orgelmusik die Nikolauskapelle des Aachener Doms – allerdings nicht zu liturgischen Zwecken oder aus künstlerischem Antrieb, sondern im Dienst der Wissenschaft. Prof. Martin Zerwas vom Fachbereich Architektur der FH Aachen entwickelt gemeinsam mit seinen Studierenden Leon Jost und Nick Schormann eine akustische Simulation des Raums – die Orgelaufnahme bildet die Grundlage dafür.

Akustik mit baulichen Maßnahmen verbessern

"In der Architektur arbeitet man häufig mit Visualisierungen, um Sachverhalte und Planungen zu veranschaulichen", sagt Martin Zerwas, "wir erstellen hier eine Auralisierung". Dabei geht es im Kern darum zu zeigen, wie sich etwa ein Musikstück an verschiedenen Stellen eines Raumes anhört und wie man mit baulichen Maßnahmen die Akustik verbessern kann.

Aufwendige Messungen

Martin Zerwas und Leon Jost haben zwei Mikrofone in der Nikolauskapelle aufgebaut; eines nimmt den Ton in unmittelbarer Nähe der Orgel auf, das andere wird an verschiedenen Stellen im Raum platziert, um die dortige "Tonlage" zu erfassen. Diese beiden Aufnahmen werden jeweils miteinander abgeglichen – so kann erfasst werden, wie der Ton sich im Raum ausbreitet, wo er von Oberflächen reflektiert wird und ob es zu Schallüberlagerungen kommt.

Wichtig für Restaurants, Krankenhäuser, Großraumbüros

Der akustische Charakter eines Raums ist wichtig für das Wohlbefinden der Menschen, die sich in diesem Raum aufhalten. Das gilt nicht nur für Kirchen und Konzertsäle, sondern auch für Restaurants, Krankenhäuser und Großraumbüros. Die Methode der Auralisierung hilft dabei, den Klang bei Neubauprojekten schon in der Planungsphase zu optimieren; sie ermöglicht es aber auch, bei Bestandsimmobilien zu prüfen, wie der Klang ohne tiefgreifende bauliche Eingriffe verbessert werden kann.

Kooperation mit der Dombauhütte

An dieser Stelle kommt Dr. Jan Richarz ins Spiel. Der Dombaumeister ist – unter anderem – für Aachens prominenteste Bestandsimmobilie verantwortlich, den Dom, der in seinem Kern aus der Zeit Karls des Großen stammt. Er unterstützt die FH-Wissenschaftler, indem er ihnen die Nikolauskapelle für die Messungen zur Verfügung stellt. "Die Dombauhütte unterhält ein Netzwerk zu Fachleuten aus der ganzen Welt", erzählt er, "von den Forschungsergebnissen können wir beim Erhalt und bei der Sanierung des Doms profitieren." Im Fall der Nikolauskapelle könnten etwa mobile Schallschutzwände dafür sorgen, dass die Akustik verbessert wird und Gäste auf den Kirchenbänken jeden Ton klar verstehen können.

Virtuelles Klangmodell als Basis

Aktuell erforschen die Wissenschaftler, wie sich die vorhandenen Gebäudedaten und die darauf basierenden Klangsimulationen mit realen Messwerten abgleichen lassen. "Für den Aachener Dom gibt es ein sehr gutes 3-D-Modell", erzählt Martin Zerwas. Dieses erfasst die Gebäudestrukturen, es gibt aber keinen Aufschluss darüber, wie das Gebäude klingt. Jede Oberfläche – also etwa Stein, Granit, Fliesen, Putz, Glas oder Holz – reflektiert Schall anders. Durch die Erfassung der Oberflächen und ihrer Charakteristika kann am Rechner in einem ersten Schritt ein rein virtuelles Klangmodell erstellt werden, das dank der realen Messdaten überprüft wird. "Wir können nun herausfinden, in welcher Tiefe wir die 3-D-Daten nutzen müssen, um eine gute Auralisierung zu erhalten", sagt Zerwas.

"Das Oktogon ist unser Traum"

Wenn die Klangsimulation fertig ist, können Nutzende sich einen Kopfhörer aufsetzen und sich einen realistischen Eindruck verschaffen, wie sich eine Bachkantate oder ein Jazzjam an jeder beliebigen Stelle eines Raumes anhört. Um den Eindruck der Immersion – also des Einsinkens in ein virtuelles Szenario – zu verstärken, fertigt Leon Jost in der Nikolauskapelle auch Bilder mit einer 3-D-Kamera an, die als Basis für eine Virtual-Reality-Umgebung genutzt werden können.

Für die Forschenden ist die akustische Vermessung der Kapelle ein wichtiger Schritt, aber es sind noch viele weitere Einsatzmöglichkeiten denkbar. Natürlich wäre es auch reizvoll, den Dom insgesamt zu vermessen. "Das Oktogon ist unser Traum", sagen Jan Richarz und Martin Zerwas, "man könnte etwa darstellen, wie gregorianische Gesänge zur Zeit der Karolinger dort geklungen haben."

3 Fragen an... Prof. Martin Zerwas