Verfahren BFH

„Der Spin-Off Ebay/ PayPal war steuerfrei“

Prof. Dr. Mark Knüppel führt Verfahren vor dem Bundesfinanzhof

Prof. Dr. Mark Knüppel, Professor für BWL, insbes. Unternehmensbesteuerung und Unternehmensnachfolge am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der FH Aachen, hat zwei Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) geführt. Ein Verfahren wurde von ihm gewonnen, ein weiteres Verfahren wird ggfs. noch dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Im Interview berichtet er von den Verfahren und den steuerlichen Besonderheiten der beiden Fälle.

Herr Knüppel, Sie waren beim Bundesfinanzhof, könnten Sie uns erläutern, was der BFH ist?

Der Bundesfinanzhof oder BFH ist das höchste deutsche Finanzgericht. Also die letzte Instanz in Steuerfragen. Es ist ein oberstes Bundesgericht und steht auf der gleichen Stufe wie zum Beispiel der Bundesgerichtshof oder das Bundesverwaltungsgericht.

Was können Sie uns von Ihrem Verfahren vorm BFH berichten?

Es waren zwei Verfahren. Vielleicht berichte ich zuerst von Ebay / PayPal. Seit einigen Jahren bin ich Inhaber von Ebay Aktien. Im Jahr 2015 hat sich Ebay von PayPal getrennt. Als Aktionär habe ich für jede Ebay-Aktien eine zusätzliche PayPal-Aktie in mein Depot bekommen. Sie müssen sich das so vorstellen, dass ich am Freitag noch eine „ganze“ Ebay Aktie hatte, die beispielsweise 100 Euro wert war. Über das Wochenende wurden die neuen zusätzlichen PayPal-Aktien in mein Depot gebucht. Am Montag hatte ich dann eine PayPal-Aktie, die 60 Euro wert war und eine „Rest-“ Ebay-Aktie mit einem Wert von 40 Euro. Aus 100 Euro wurden also 60 + 40 Euro.

Das klingt nicht besonders dramatisch.

Ist es aber, da mein Girokonto minus 15 Euro sagte. Die Zuteilung der PayPal-Aktien wurde als voll steuerpflichtige Sachdividende behandelt.  Die PayPal-Aktien wurden mit ihrem Börsenwert erfasst und in voller Höhe mit Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 Prozent und Solidaritätszuschlag belastet. Diese Besteuerung war der Gegenstand des Streits.

Wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe zunächst Einspruch eingelegt. Dieser wurde aber mit Hinweis auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen und die für mich neu eingerichtete „Bund-Länder Arbeitsgruppe Spin-Off Ebay/ PayPal“ nicht bearbeitet. Ich habe dann 2017 Untätigkeitsklage vor dem Finanzgericht Köln erhoben.

Was war das rechtliche Problem?

In der Sache geht es um die Frage, ob ein US-Spin-Off eine Sachausschüttung oder ein mit der inländischen Abspaltung vergleichbarer Vorgang ist. Das deutsche Recht kennt zum Beispiel die Rechtsfigur der „Gesamtrechtsnachfolge“, die es im US-Recht so nicht gibt. Die Abspaltung ist im deutschen Recht gesetzlich geregelt und wird in einem Schritt mit drei Parteien (übertragende Gesellschaft, übernehmende Gesellschaft und Gesellschafter) vollzogen. Im Gesellschaftsrecht des US-Bundesstaats Delaware ist der Spin-Off gar nicht geregelt. Die Umstrukturierung erfolgt auf vertraglicher Grundlage. Das US-Recht braucht dafür dann zwei Schritte. Zunächst wird das Vermögen auf eine Tochtergesellschaft übertragen und in einem zweiten Schritt werden die Anteile an der Tochtergesellschaft an die Gesellschafter der Mutter verteilt.

Die Diskussion kann man jetzt sehr kleinteilig fortsetzen. In der Sache bleibt die Frage, ob der US-Spin-Off in seiner technischen Umsetzung einer inländischen Abspaltung folgen muss, oder ob ein großzügiger Vergleichsmaßstab herangezogen werden muss.

Wie haben die Gerichte entschieden?

Vor dem Finanzgericht (FG) Köln war ich erfolgreich. Da die Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, hat das FG Köln die Revision zugelassen. Mein Finanzamt hat Revision eingelegt. Die Revision des Finanzamts war nicht erfolgreich. Der BFH hat entschieden, dass die Abspaltung „typusorientiert“ auszulegen ist und die zwei Schritte im US-Recht in einem "zeitlichen und sachlichen Zusammenhang" erfolgen müssen, damit die Vergleichbarkeit gegeben ist. So habe ich beide Instanzen gewonnen.

Was können Sie uns zum Return of Value in der Sache Vodafone / Verizon berichten.

In 2013 hat sich Vodafone von seinem US-Mobilfunkgeschäft getrennt. Vodafone hat seinen 45 Prozent Anteil an Verizon Wireless an Verizon veräußert. Den Kaufpreis hat Verizon teilweise in bar, aber auch in eigenen Anteilen bezahlt. In 2014 hat Vodafone im Rahmen eines sogenannten Return of Value seine Aktionäre an der Veräußerung seines US-Geschäft beteilig. Den Aktionären wurden Verizon-Aktien und eine zusätzliche Sonderzahlung gewährt.

Klingt sehr vergleichbar mit dem Ebay / PayPal Fall.

Ja und nein. Ein offensichtlicher Unterschied besteht in der zusätzlichen Barzahlung. Hinsichtlich der Zuteilung der Aktie sind die beiden Sachverhalte wirtschaftlich identisch, rechtlich aber nicht. Wirtschaftlich entspricht der Wert der zugeteilten Verizon-Aktien (und der zusätzlichen Barzahlung) dem Wertverlust der Vodafone-Aktien aufgrund des Return of Value. Rechtlich sind die Unterschiede größer. Der Return of Value wurde im Rahmen eines Scheme of Arrangement nach UK-Recht durchgeführt. Der BFH hat in dieser Konstellation eine Vergleichbarkeit mit der inländischen Abspaltung abgelehnt.

Dann haben Sie diesen Fall verloren?

Nein. Zunächst habe ich beim FG gewonnen. Der BFH hat den Fall an der FG zurückverwiesen, weil ich noch eine zweite Argumentation schon im Einspruchsverfahren aufgebaut hatte. Ich bin der Ansicht, dass der Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt werden wird, da die geltenden Vorschriften zur Einlagenrückgewähr gegen die Kapitalverkehrsfreiheit in der EU verstoßen.

Das müssen Sie erklären.

Eine steuerliche Einlagenrückgewähr bedeutet, dass die Kapitalgesellschaft ihren Gesellschaftern etwas zurückzahlt, was zuvor aus bereits versteuerten Einkommen der Gesellschaft zugeführt wurde. Diese Rückzahlung vom Einlagekonto ist nicht steuerbar. Jede Kapitalgesellschaft hat steuerlich zwei Töpfchen: „Einlagen“ und „ausschüttbaren Gewinn“. Der ausschüttbare Gewinn wurde von der Kapitalgesellschaft am Markt verdient und unterliegt, wenn er ausgeschüttet wird, beim Privatanleger der Abgeltungssteuer. Falls eine Gesellschaft ihren gesamten ausschüttbaren Gewinn an ihre Anteilseigner ausgeschüttet hat, kommt es zu einer Ausschüttung aus dem Einlagenkonto. Auf das Einlagenkonto kann aber nur nachrangig zugegriffen werden.

Könnten Sie dazu ein Beispiel bilden?

Wenn Sie eine GmbH gründen und 50.000 Euro Einlage leisten, so leisten Sie diese Einlage aus Ihren Ersparnissen. Wenn die GmbH später Ausschüttungen leistet, die die erwirtschafteten Gewinne übersteigt, so wird diese Ausschüttung aus der Substanz geleistet. Die Gesellschaft würde dann einen Teil der Ausschüttung aus der ursprünglichen Einlage finanzieren. Wird nun das Kapital zurückgezahlt, das zuvor eingelegt wurde, so ist diese Rückzahlung nicht steuerpflichtig. Die Deutsche Telekom – zufällig auch ein großer Wettbewerber von Vodafone – ist das passende Beispiel. Die Telekom schüttet seit Jahren Einlagekonto aus. Die Dividende ist nicht steuerbar, sondern wird mit den Anschaffungskosten verrechnet.

… und warum sollen diese Regeln auch für Vodafone gelten?

In der EU haben wir den einheitlichen Binnenmarkt mit den vier Grundfreiheiten. Eine Grundfreiheit ist die sogenannte Kapitalverkehrsfreiheit. Die Investition in eine inländische Aktiengesellschaft darf gegenüber der Anlage in einer EU-Kapitalgesellschaft nicht schlechter gestellt werden.

Meiner Meinung nach erfolgt dies aber durch eine Regelung im deutschen Körperschaftsteuergesetz. Die Einlagenrückgewähr einer in der EU ansässigen Kapitalgesellschaft ist grundsätzlich möglich. Das deutsche Steuerrecht verlangt aber, dass die ausländische Gesellschaft sich einem speziellen Feststellungsverfahren beim Bundeszentralamt für Steuern unterwirft. Konkret ist dieses Feststellungsverfahren mit detailliertesten Nachweispflichten verbunden. Es wird mir wohl kein Steuerberater widersprechen, wenn ich die These aufstelle, dass die Anforderungen der Finanzverwaltung darauf angelegt sind, ein erfolgreiches Feststellungsverfahren zu vereiteln.

Die Last dieses Feststellungsverfahrens hätte Vodafone. Den Nutzen hätten ich bzw. die inländischen Kleinaktionäre. Nun ist es nachvollziehbar, dass sich Vodafone nicht freiwillig einem solchen Feststellungsverfahren unterwerfen wird, wenn davon nur eine Splittergruppe von inländischen Anlegern profitiert. Die Kapitalverkehrsfreiheit verlangt, dass ich als Kleinanleger mit „Bordmitteln“ den Nachweis der Einlagenrückgewähr führen muss, wenn Vodafone sich nicht dem Feststellungsverfahren unterwirft.

Das heißt, Sie gehen jetzt zum EuGH?

Ich kann nicht direkt zum EuGH. Die Vorlage muss von einem Gericht erfolgen. Der BFH ist meiner Argumentation gefolgt, sagt aber, dass das FG Köln prüfen muss, ob Anhaltspunkte für eine Einlagenrückgewähr vorliegen und dann muss das FG Köln ggf. dem EuGH vorlegen.

Können Sie denn Anhaltspunkte für eine Einlagenrückgewähr vorlegen?

Da bin ich zuversichtlich. Vodafone hat in der Vergangenheit sehr große Kapitalerhöhungen durchgeführt. Stichwort Mannesmannübernahme in Deutschland und AirTouch in den USA. Diese Kapitalerhöhungen haben zu Zugängen im Einlagekonto geführt. Anhand der Jahresabschüsse und weiter im UK-Unternehmensregister bzw. bei der Börsenaufsicht veröffentlichter Unterlagen kann ich nachzeichnen, dass Einlagenrückgewähr vorliegt. Ich muss aber demütig bleiben. Das FG Köln hat noch nicht über die Vorlage an den EuGH entschieden.

Haben Sie dieses Verfahren alleine betrieben.

Im Grundsatz schon. Das Schöne an unserem Fachbereich ist, dass wir zahlreiche Expertinnen und Experten an Bord haben. Einzelne Fragen habe ich mit meinen Steuerkollegen Jürgen Vogt und Meike Utzerath, den Juristen Michael Timme, Thorsten Patric Lind und Kathrin Kroll-Ludwigs diskutiert. Großer Dank gilt auch den Kollegen aus Finanzwirtschaft Jürgen Stephan und Philipp Schmitz von denen ich die Vokabel „Handel per Erscheinen“ gelernt habe. Im Moment bin ich in Diskussion mit meinem Kollegen Duc Hung Tran, der zu meiner großen Freude Kenntnis zum UK-GAAP, dem britischen Bilanzrecht hat. Schließlich muss ich noch Thomas Schwalm danken. Mein Doktorand hat auch großes Vergnügen an diesem Verfahren. Ich schärfe meine Argumente in der Diskussion mit ihm. Er hat außerdem wichtige Unterlagen zu Vodafone für mich ausfindig gemacht.

BFH v. 01.07.2021, VIII R 15/20 – Spin-Off eBay/PayPal
BFH v. 04.05.2021, VIII R 14/20 – Return of Value Vodafone/ Verizon