Details

"Unten ist da, wo die Erde ist..."

Deutsche Raumfahrtlegende zeigt Europa von oben

"Es ist wirklich beängstigend und bedenklich, wie intensiv der Raubbau an Regenwäldern ist," Europas erfahrenster Astronaut, Dr. Thomas Reiter, schaut nach seinen Weltraumeinsätzen jedenfalls anders auf die Welt. Im Vergleich zu dem, was er vom All aus alles gesehen habe, erscheinen Alltagsprobleme und -konflikte der Menschen meist nur als Nichtigkeiten. Reiters Vortrag an der FH Aachen ist Teil des Karlspreis-Rahmenprogramms gewesen, schon zum zweiten Mal nach Hans-Dietrich Genschers Auftritt 2013. Dass der berühmte Astronaut an der FH Aachen zu Gast war, ist kein Zufall, ist doch die FH Aachen eine der wenigen deutschen Fachhochschulen, die den Studiengang Luft- und Raumfahrttechnik anbietet. Und der 2012 verstorbene Nasa-Raumfahrtpionier Jesco von Puttkamer war sogar der allererste FH-Honorarprofessor und 2011 Ehrengast beim von der FH organisierten Spiegel-Gespräch.

Auch die diesjährige Veranstaltung, in welcher der ehemalige Raumfahrer über die Ziele und Chancen der bemannten Raumfahrt referierte, ist politisch geprägt. "Die zahlreichen politischen Konflikte, die sich auf der Erde abspielen, haben überhaupt keine Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Astronauten unterschiedlicher Nationen auf der Raumstation", so der gebürtige Frankfurter über die Neutralität und das friedliche Zusammensein im Universum. Schon Jesco von Puttkamer äußerte sich beim Spiegel-Gespräch zu diesem Thema: "Auf der ganzen Erde gibt es keinen Grund, der nicht unneutral oder unumstritten wäre. Nur der Weltraum ist in meinen Augen der einzig verbliebene neutrale Raum. Dort kann die Menschheit noch gemeinsame Ziele verfolgen."

Thomas Reiter nahm 1995 und 2006 an zwei sechsmonatigen Weltraummissionen teil. Rund ein Jahr verbrachte der Deutsche im All und ist somit gleichzeitig der bislang einzige Europäer mit zwei erfolgreich absolvierten Langzeitmissionen. Als der Astronaut während seines ersten ESA-Langzeitflugs die russische Raumstation MIR verließ, war er der erste Deutsche, der einen Weltraumausstieg durchführte. In seinem Vortrag schilderte der Raumfahrer neben einem Überblick über das umfangreiche Aufgabenspektrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) seine persönlichen Erlebnisse und Eindrücke auf den Raumstationen und Außeneinsätzen. Mit eindrucksvollen Filmaufnahmen vom Leben und von der Arbeitsweise auf der Raumstation vermittelte der Vortragende durch den Effekt einer einzigen Kameraeinstellung dem Publikum den Eindruck, selbst an Bord zu sein. Auch zeigte er einen Videoclip von Alexander Gerst. Mithilfe einer besonders lichtempfindlichen Kamera machte Reiters Astronautenkollege beeindruckende Bilder von der Erde, in Zeitraffer. "Man mag staunen, aber Europa sieht vom All genauso aus wie auf der Landkarte". Unter dem Motto "Europa von oben" entführte Reiter seine Zuhörer zu den entlegensten Orten der Welt: von imposanten Wüstengebieten wie die Sahara über tropische Wirbelstürme bis hin zu Brandrodungen von tropischen Regenwäldern demonstrierte er die Vorzüge und Schattenseiten der Konfrontation von Mensch und Natur.

Im Weltraum wird nicht zuletzt intensiv geforscht. Anhand von zahlreichen Beispielen veranschaulichte Reiter, dass die Raumfahrt weit mehr Anteile am menschlichen Leben habe als manch einer denken mag. Wie bekämpft man Welthunger? Wie löst man die Flüchtlingsprobleme? Wie verschafft man allen Menschen Zugang zu sauberem Wasser? Mit diesen und vielen anderen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen. So untersuchen zum Beispiel Biochemiker Wachstumsvorgänge von Pflanzen, um herauszufinden, wie man sie trockenresistenter machen kann. Man würde dann auch in Gebieten, wo häufig extreme Dürren herrschen, erfolgreich Landwirtschaft betreiben können.

Den ersten bemannten Flug zum Mars prognostizierte Nasa-Raumfahrtlegende Puttkamer im Jahr 2035: "Der Mars ist ein ideales gemeinsames Ziel und zugleich ein Jahrtausendprojekt, in dem eine multinationale Beteiligung nicht nur wünschenswert, sondern aus wirtschaftlichen und partnerschaftlichen Gründen erforderlich ist." Ganz ähnlich äußert sich dazu Thomas Reiter: "Ob wir eine Marsmission in rund zwanzig Jahren starten können, hängt von zwei wesentlichen Faktoren ab: Zum einen müssten schon bald konkrete Schritte eingeleitet werden. Zum anderen ist es unumgänglich, dass mehrere Nationen zusammenarbeiten müssen."